Wien, Lonely Planet – Österreich

Artikel aus “The Gap”, Juni/ Juli 2004


Mostly of germanic origin

Was sehen Touristen von Wien? Kärntner Straße, Stephansdom, Wurstelprater? Manche wollen ein bisschen mehr. Sie lesen den „Lonely Planet“-Reiseührer. Chronische Alleskenner behaupten längst, die Handbücher von Lonely Planet würde eine weltweite touristische Uniformität auf pseudo-insidermäßigem Niveau erzeugen, Faktum ist jedoch, dass sich der australische Verlag zwischen alternative, mainstream und unverzichtbar eine Quasi-Monopolstellung erschrieben hat. Lonely Planet ist eine dunkelblaue Erfolgsstory – auch die Skeptiker und Feinde besitzen stets ein heimliches Exemplar ihrer Auskennstadt.

Der schmale „Lonely Planet Vienna“ trägt den Untertitel „From Schubert to Schnitzel“, schlägt den bekannt legeren Tonfall an, den man schätzt und der nervt. Er empfiehlt das B72, den Friedhof der Namenlosen und die Pension Wild („it is the family name, not a description“) und interpretiert die Stadt Wien als riesige Dienstleistungsmaschinerie.

Die Lektüre kann indes helfen, eigene Stereotypen über fremde Kulturen zu hinterfragen, zum Beispiel, wenn Völkerkunde für Anfänger geübt wird: „Native Austrians are mostly of germanic origin, though Vienna itself has more ethnic diversity.“ Die Gleichberechtigung der Frau sei hingegen in Österreich bereits seit einiger Zeit eingeführt.

Interessant ist die Außenperspektive. Erstaunen löst etwa bei unseren ausländischen Freunden die Tatsache aus, dass in Wien Hunde „überall“ mitgenommen werden; man brauche nicht überrascht sein, wenn im Restaurant ein Hundekampf über dem eigenen Schnitzel ausbricht. Zudem wird man gebildet: Der wohlerzogene Österreicher wünscht zum Mittagessen „Mahlzeit“, beim Abendessen jedoch schon etwas formeller „Guten Appetit“.

Krügerl und Seidel werden gelobt, der Pfiff sei allerdings „a waste of time and money“. Eine besondere Empfehlung bekommen die Käsekrainer am Würstelstand. Dabei fällt der Hilfsausdruck „Eitrige mit an Buckl“ ... denn auch Lonely Planet verzichtet selbstverständlich nicht auf die Verbreitung des verhängnisvollen Grundsatzes, Einheimische würden sich immer freuen, in der Landessprache angesprochen zu werden.

An manchen Stellen wird die Überempfindlichkeit, die Misslaune und der Verbotsfimmel des Wieners angeführt. Um den „Lonely Planet Vienna“ anhand eines Fallbeispiels zu testen, begebe ich mich zwischen Oberes und Unteres Belvedere. Auf einer Holzbank im Sonnenschein, bestaunt von japanischen Gästen, lese ich einige aufschlussreiche Absätze über Prinz Eugens Gartenbauphilosophie. An der Bank lehnt mein Fahrrad.

Nach kaum zehn Minuten schnauzt mich ein Parkwächter an: „Radel nix in Belvedere!“ – „Ich hab eh geschoben“, entschuldige ich mich. Er hob die Augenbrauen, denn einem Lonely-Planet-Leser traut er höchstens die Phrase mit der Eitrigen und dem Buckl zu. „Schieben auch nix. Radel draußen anbinden!“ Meiner Frage, wie ich es anstellen solle, „Radel“ trotz Schiebeverbot aus dem Belvedere zu entfernen, entzieht er sich durch Flucht.

Ich schiebe „Radel“ regelwidrig zum Ausgang. Es gibt dort ein Pissoir, doch die Benutzung kostet laut Reinigungsfrau 50 Cent. „Ziemlich teuer, oder?“, frage ich und drehe unwillkürlich ab, wobei ich mich sofort über meine spontane Kleinlichkeit ärgere. „50 Cent kosts aber überall!“, keppelt mir die Reinigungsfrau nach.

Lonely Planet Vienna, From Schubert to Schnitzel, 192 Seiten, 3. Auflage 2001, EUR 16,90.